Drehstuhlexperiment I

 

Im Versuch wird ein rotierendes Rad mit der Kreisfrequenz  und dem Trägheitsmoment   einer Person auf einem Drehstuhl mit dem Gesamtträgheitsmoment  (einschließlich Person) und der Anfangskreisfrequenz  

übergeben. Die Drehachse des Rades zeigt zu Beginn senkrecht zum Schwerkraftvektor.

 

Wir zerlegen den Gesamtdrehimpuls  in eine Komponente  parallel zur Schwerkraft und einen zweiten Vektor  senkrecht zur Schwerkraft.

 

 

Allgemein gilt für jede Komponente von :

 

 

Im zu beschreibenden Experiment wird das rotierende Rad der Versuchsperson auf dem Stuhl so übergeben, dass die Radachse senkrecht zur Stuhlachse zeigt. Der Stuhl ist zunächst fixiert, so dass sich der gesamte Drehimpuls im Rad befindet. Nach Loslassen des Stuhles ändert sich zunächst nichts. Es gelten also folgende Anfangsbedingungen:

 

 

 

 

Jetzt wird das Rad einmal um 90° gedreht (Radachse parallel zur Stuhlachse) und danach um -90° (Radachse antiparallel zur Stuhlachse):

 

 

 

 

roter Vektor:

Drehimpuls des Stuhles (mit Person)

blauer Vektor:

Parallele Drehimpulskomponente des Rades

grüner Vektor:

Senkrechte Drehimpulskomponente

 

 

grüner Punkt:

Kennzeichnung der rechten Hand.

 

  

 

Die Drehzahl des Stuhles erhöht sich kontinuierlich bei Kippung des Rades. Durch die Drehung des Stuhles wird der Drehimpuls des Rades in vertikaler Richtung kompensiert. Stellt man die Achse von parallel zu antiparallel, kehrt sich die Drehrichtung um. Insgesamt bleibt die parallele Drehimpulskomponente immer gleich Null. Die Zunahme der Drehzahl wird gut durch die  Bildunschärfe der Hand verdeutlicht.

±90°-Drehung


Der Drehimpulserhaltungssatz liefert:

 

 

 

 

 

Im Falle einer Drehung der Radachse von ±90° muss die Drehimpulskomponente in senkrechter Richtung erhalten bleiben. (siehe grüne Pfeile in obiger Abbildung).  Während in vertikaler Richtung die Drehbewegung von der Unterlage entkoppelt ist (jedenfalls nahezu bei idealer Lagerung), tritt in horizonaler Richtung eine Drehimpulskopplung mit dem Erdball auf (wäre der Stuhl kardanisch gelagert, würde er sich nunmehr um die Richtung von L0 zu drehen beginnen):

 

 

Wegen des riesigen Massenträgheitsmomentes der Erde ist ihre Drehimpulsänderung, die den Drehimpuls des Rades aufnimmt, zwar gleich groß, führt aber zu einer vernachlässigbaren Drehzahländerung:

 

 

Im folgenden soll geklärt werden, ob sich die Frequenz des Rades bei der Drehung verändert und ob Erhaltung der Rotationsenergie vorliegt. Hierzu soll der Übergang bei der Drehung aus der horizontalen in die vertikale Richtung näher untersucht werden:

 

Beliebiger Winkel

Die folgende Skizze findet man im Lehrbuch von Tipler/Mosca (Seite 308):

Der Drehimpuls des Stuhles ergibt sich zu

 

Und damit wie oben

 

 

Allerdings würde LRad und damit die Frequenz des Rades mit steigendem Winkel a zunehmen und für 90° sogar divergieren. Dasselbe ergäbe sich für die Drehzahl des Stuhles. Wir gehen deshalb von folgender Skizze aus:

 

 

Die Radachse werde um den Winkel a geneigt. Die Frequenz des Rades wird nicht konstant gesetzt. Sie soll sich aus der Rechnung ergeben. Der Gesamtdrehimpuls L0 bleibt erhalten und wird in LRad und Lres zerlegt. Gezeichnet ist der Fall LRad = L0 , dies wird jedoch nicht vorausgesetzt.

Freie Achsen existieren in Richtung LStuhl und LRad. Die dritte, nicht unmittelbar sichtbare Achse zeigt in Richtung L0. Der Drehimpuls Lres wird zerlegt in Richtung der Stuhlachse und in Richtung L0. Wenn die Radachse geneigt wird, beginnt der Stuhl entsprechend LStuhl zu drehen. Die Horizontalkomponente von LRad reicht jedoch nicht mehr aus, um L0 zu erzeugen. Deshalb tritt die zusätzliche Komponente LE auf. Wäre der Stuhl kardanisch gelagert, würde er mit dem Drehimpuls LE um L0 zu rotieren beginnen. Für a = 90° wäre dann LE = L0.  In diesem Fall erwartet man, dass ein kardanisch gelagerter Stuhl um die Horizontalachse mit w0 und um die Vertikalachse mit wStuhl (siehe oben) rotiert. Da der Stuhl fixiert ist, wird der Drehimpuls an die Erde abgegeben.

Nun die Rechnung:

Aus den Dreiecken entnimmt man zunächst:

 

 

 

 

Wir erhalten aus den letzten Gleichungen:

 

 

 

 

90°

LStuhl

0

LRad = L0®0

LE

L0-LRad = 0®L0

L0

 

Der Drehimpuls LRad folgt nicht aus den obigen Gleichungen (3 Gleichungen mit 4 Unbekannten). Aus der Anfangsbedingung für a = 0 wäre jedoch auf L0 = LRad zu schliessen. Nimmt die Radfrequenz durch Reibung ab, so bleibt der Drehimpuls trotzdem erhalten. Die Stuhldrehzahl würde allerdings abnehmen, LE aber zunehmen (d.h. der Drehimpuls wird an die Erde übertragen). Die Beziehung zwischen LStuhl, LE und L0

 

 

hängt nur insofern von der Radfrequenz ab, als L0 von LRad bestimmt ist.