Aufs Vakuum kommt es an - Über-Lichtgeschwindigkeit unter bestimmten Voraussetzungen möglich?
Seit den frühen Jahren unseres Jahrhunderts haben die Physiker sich darauf eingestellt, daß die Lichtgeschwindigkeit eine unüberwindliche Obergrenze ist. Kein Teilchen, kein Signal und kein ursächlicher Zusammenhang kann schneller sein als c, die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum. Das Vertrauen der Physiker darauf ist so groß, daß sie die Lichtgeschwindigkeit mittlerweile als 299 792 458 Meter je Sekunde definiert haben und die Längeneinheit 1 Meter von ihr (und der Sekunde) ableiten. Ganz streng scheint dies freilich doch nicht zu gelten. Überlegungen des Physikers Klaus Scharnhorst an der Humboldt-Universität (Berlin), der inzwischen an der Universität Leipzig arbeitet, führen zu der Annahme, daß Lichtteilchen (Photonen) unter bestimmten Umständen schneller sein können als die definierte Lichtgeschwindigkeit.
Es kommt auf das Vakuum an, genauer gesagt auf seine Struktur. In der modernen Physik lassen Vakua sich nicht mehr einfach als „leere Räume“ beschreiben. In den Begriffen der Quantentheorie ist ein Vakuum - so schwer das bildlich vorstellbar ist - eher ein wild wogender Ozean aus Teilchen und ihren Antiteilchen. Beide können unter bestimmten Umständen plötzlich in Erscheinung treten und ebenso plötzlich wieder verschwinden. Das jähe Erscheinen und Vergehen hängt mit der Gegenwart von Photonen zusammen. Im Experiment läßt sich zeigen, daß Photonen (ab einer bestimmten Energie) jäh verschwinden können und an ihrer Stelle ein Elektron-Positron-Paar erscheint. Treffen ein Elektron und ein Positron aufeinander, so verschwinden sie, und es erscheint ein Photon. (Die Frage, ob es dasselbe ist, wäre physikalisch sinnlos: Photonen lassen sich nicht unterscheiden.) Dieses immer wiederholte Verschwinden und Wiedererscheinen bremst die Bewegung der Photonen durch das Vakuum. Das bedeutet, daß die Lichtgeschwindigkeit abnimmt.
Gelingt es aber, die Fluktuationen im Vakuum zu beruhigen, so werden seine Wechselwirkungen mit den Photonen seltener, so daß ihre Geschwindigkeit höher ist. Um diese Beruhigung zu erreichen, schlägt Scharnhorst in seinem Gedankenexperiment zwei parallele, ideal elektrisch leitende Platten in geringer Entfernung voneinander vor, die alle Wellenlängen unterdrücken, die nicht zwischen sie passen (in der Quantentheorie sind „Welle“ und „Teilchen“ gleichbedeutend. So zeitigt sichtbares Licht Erscheinungen, die sich nur durch seine Teilchennatur verstehen lassen. Andererseits sind von Elektronen Erscheinungen bekannt, die sich nur durch ihre Wellennatur erklären lassen). Im beruhigten Vakuum zwischen den beiden Platten können Photonen, die sich senkrecht zu ihnen bewegen, schneller sein als die definierte Lichtgeschwindigkeit.
An der Universität Sussex in Brighton gesteht der britische Physiker Gabriel Barton unumwunden ein, daß er anfangs Schwierigkeiten hatte, diesem Ergebnis Glauben zu schenken. Als er aber ein Gedankenexperiment entwarf, in dem er statt der leitenden Platten Scharnhorsts parallele, ideale Spiegel verwendete, gelangte er zum selben Ergebnis: Die Veränderung der Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ist eine einwandfreie Folgerung aus der Quantentheorie elektrischer Felder. Die Erscheinung wird sich nie in einem praktischen Experiment nachprüfen lassen. Es ist unvorstellbar, die Veränderung der Lichtgeschwindigkeit jemals messen zu können. Dafür ist sie zu gering. Hätten die beiden Platten (oder Spiegel) einen Abstand von nur einem Atomdurchmesser, so betrüge die Zunahme der Lichtgeschwindigkeit etwa ein milliardstel eines milliardstel Prozent. Bezogen auf die Entfernung der Erde zum nächsten Fixstern macht das ungefähr einen Millimeter Unterschied aus.
Die Veränderlichkeit der Lichtgeschwindigkeit ist somit für den Alltag unwesentlich. „Überlichtgeschwindigkeiten“ bleiben glücklicherweise der Science-fiction vorbehalten; immerhin bedeutet „Überlichtgeschwindigkeit“ auch, daß eine Wirkung vor ihrer Ursache einträte. Für die Naturwissenschaft ist die Entdeckung Scharnhorsts aber ein Erkenntnisfortschritt, also ein Baustein zur besseren Beschreibung der Natur.
Walter Baier
Kausalität und Lichtgeschwindigkeit
In SuW 30, 152 [3/1991] ist ein Kurzbericht von Walter Baier erschienen, in welchem behauptet wird, daß Über-Lichtgeschwindigkeiten aufgrund subtiler quantenelektrodynamischer Effekte prinzipiell doch möglich sind. Der Verfasser stützt sich dabei auf eine Arbeit von Klaus Scharnhorst (Phys. Lett. B236, 354 [1990]), deren Resultat später von Gabriel Barton an der Universität Sussex mit einer anderen Methode bestätigt wurde (Phys. Lett. B237, 559 [1990]). In diesen Arbeiten geht es um die Geschwindigkeit von Photonen, die sich im Vakuum zwischen zwei parallelen elektrisch ideal leitenden Platten senkrecht zu diesen bewegen. Im folgenden soll ausgeführt werden, daß die übereinstimmenden Ergebnisse von Scharnhorst und Barton keineswegs implizieren, daß bei dieser Anordnung die Signalgeschwindigkeit des Lichtes größer als die Vakuumgeschwindigkeit c werden kann. Im Gegenteil, diese bleibt exakt gleich c.
Die oben zitierten Arbeiten beruhen darauf, daß in der Quantenelektrodynamik die Struktur des Vakuums durch die Anwesenheit von leitenden Platten verändert wird. Eine berühmte Konsequenz davon ist die gegenseitige Anziehung von zwei ideal leitenden ungeladenen Metallplatten im Vakuum. Dieser von Casimir entdeckte Effekt ist auch experimentell bestätigt worden. Neu ist nun die Behauptung, daß die veränderte Vakuumstruktur auch zu Überlichtgeschwindigkeit führen
Scharnhorst und Barton berechneten in korrekter Weise die Phasengeschwindigkeit für Licht, das sich senkrecht zwischen den parallelen Platten ausbreitet. Dabei beschränkten sie sich aber auf einen tiefen Frequenzbereich, der Wellenlängen entspricht, die zwar kleiner sind als der Plattenabstand, aber sehr viel größer als die Comptonwellenlänge des Elektrons. Gerade diese Wellenlängen „spüren“ die Anwesenheit der Platten am stärksten und führen zu einem effektiven Brechungsindex, der den Vakuumwert 1 um eine winzige Zahl unterschreitet. Im betrachteten Frequenzbereich ist also die Phasengeschwindigkeit des Lichtes größer als c. Da in diesem Bereich außerdem die Dispersion vernachlässigbar klein ist, wird dort auch die Gruppengeschwindigkeit größer als c. Daraus darf nun grundsätzlich noch keineswegs geschlossen werden, daß auch die Signalgeschwindigkeit größer als c werden muß. Daß diese für die vorliegende Situation im Gegenteil immer gleich c bleibt, wurde inzwischen von Shahar Ben-Menahem von der Stanford University gezeigt (Phys. Lett. B250, 133 [1990]).
Dieser Autor gibt dabei sowohl ein technisch präzises als auch ein einfaches, anschauliches Argument. Letzteres beruht auf der folgenden Betrachtung. Für eine Signalübertragung zwischen den beiden Platten muß durch Superposition von Lichtwellen unterschiedlicher Frequenz ein Wellenpaket so präpariert werden, daß es sicher zwischen den beiden Platten lokalisiert ist, aber doch nur Frequenzen enthält, welche im Gültigkeitsbereich der Rechnungen von Scharnhorst und Barton liegen. Die zweite Bedingung hat zur Folge, daß die Wellenfront nicht schärfer definiert ist, als die Comptonwellenlänge des Elektrons. Man kann deshalb von vorneherein höchstens Kausalitätsverletzungen auf größeren Skalen feststellen. Dann müßte man aber - wie eine einfache Rechnung zeigt - die Ausbreitung des Signals solange verfolgen, daß es schon vorher am anderen Ende der Platte angekommen wäre. Um dies zu vermeiden, muß deshalb die Wellenfront schärfer gemacht werden. Dazu benötigt man aber auch hohe Frequenzen. Dispersionseffekte in diesem Bereich führen dann dazu, wie Ben-Menahem im einzelnen zeigt, daß die Signalgeschwindigkeit exakt gleich der Vakuumlichtgeschwindigkeit c ist.
Philippe Jetzer und Norbert Straumann