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Reale Gase; Virialentwicklung

Klassisches Bild, wechselwirkende Teilchen. Clusterentwicklung als Ausgangspunkt für die Näherungsverfahren (MAYER,1937)

Modell: Einatomiges klassisches Gas, symmetrische Paarwechselwirkung zwischen den Teilchen: $u_{ij}=u(\left\vert \mathbf{r}_{i}-\mathbf{r}_{j}\right\vert
)$. Die Hamilton-Funktion des System lautet

\begin{displaymath}
H=\sum_{i}\frac{\mathbf{p}_{i}^{2}}{2m}+\sum_{i<j}u_{ij}.
\end{displaymath}

Zustandssumme:

\begin{displaymath}
Z(N,V,T)=\frac{1}{\lambda (T)^{3N}N!}Q(N,V,T)
\end{displaymath}

mit

\begin{displaymath}
Q(N,V,T)=\int \prod_{i<j}e^{-u_{ij}/kT}d^{3N}\mathbf{r}.
\end{displaymath}

Für das ideale Gas ($u_{ij}=0$) sind alle Exponentialfunktionen $e^{-u_{ij}/kT}=1$ und $Q(N,V,T)=V^{N}$, so dass

\begin{displaymath}
Z_{id}(N,V,T)=\frac{V^{N}}{N!\lambda ^{3N}},
\end{displaymath}

wie bereits diskutiert. Um die Abweichungen vom idealen Gas zu erfassen, ist es zweckmässig die Funktionen $f_{ij}=e^{-u_{ij}/kT}-1$ einzuführen (Mayer-Funktionen). Die Funktion $f$ ist klein wenn $u$ klein oder $T$ groß ist, und ist somit eine brauchbare Größe für eine Hochtemperaturentwicklung. Es ergibt sich

\begin{eqnarray*}
Q &=&\int \prod_{i<j}(1+f_{ij})d^{3N}\mathbf{r=} \\
&=&\int \...
...{ij}f_{kl}+...\right] d^{3}\mathbf{r}_{1}...d^{3}\mathbf{r}_{N},
\end{eqnarray*}

so dass $Q$ zerfällt in eine Summe verschiedener Integrale vom Typ

\begin{displaymath}
I=\int f_{ij}f_{kl}f_{mn}...d^{3}\mathbf{r}_{1}...d^{3}\mathbf{r}_{N}.
\end{displaymath}

Diese Integrale lassen sich graphisch darstellen.
\scalebox{0.75}{\includegraphics{diag1.eps}}

Das ist z.B. die Darstellung eines Integrals

\begin{displaymath}
I=\int f_{12}f_{15}f_{67}...d^{3}\mathbf{r}_{1}...d^{3}\mathbf{r}_{8}
\end{displaymath}

(hier $N=8$, die Kreise notieren die Teilchen, die Linien die berücksichtigten Wechselwirkungen, d.h. die $f$-Funktionen). Dieses Integral kann in ein Produkt unabhängiger Integrale faktorisiert werden:

\begin{displaymath}
I=\int f_{12}f_{15}d^{3}\mathbf{r}_{1}d^{3}\mathbf{r}_{2}d^{...
...^{3}\mathbf{r}_{6}d^{3}\mathbf{r}_{7}\int d^{3}\mathbf{r}_{8},
\end{displaymath}

oder graphisch:

\scalebox{0.75}{\includegraphics{diag2.eps}}

Die durch Linien (Wechselwirkung) verbundenen Teile dieser graphischen Darstellung bezeichnet man als Cluster. Die Cluster-Darstellung vereinfacht die Auswertung der Integrale, da die Cluster gleicher Struktur den gleichen (multiplikativen) Beitrag zu allen Integralen liefern: Alle Einteilchenbeiträge sind

\begin{displaymath}
\left[ \bullet \right] =\int_{V}d^{3}\mathbf{r}=V
\end{displaymath}

Die Beiträge der Paare sind

\begin{displaymath}
\left[ \bullet \mbox{---}\bullet \right]
=\int \int d^{3}\ma...
...e^{-u_{12}/kT}-1\right) d^{3}\mathbf{r}_{1}d^{3}\mathbf{r}_{2}
\end{displaymath}

u.s.w.

Sei $l$ die Anzahl der Teilchen eines Clusters. Man definiert das Cluster-Integral

\begin{displaymath}
b_{l}=\frac{1}{l!\lambda ^{3(l-1)}V}\times \left\{ \mbox{Sum...
...ler m\uml {o}%
glichen } l \mbox{-Cluster-Integrale}\right\} .
\end{displaymath}

Z.B. für $l=3$ sind es 4 Cluster. Die Werte $b_{l}$ sind dimensionslos und (im Grenzfall $V\rightarrow \infty $) volumenunabhängig. Beispiele:

\begin{displaymath}
b_{1}=\frac{1}{V}\left[ \bullet \right] =1
\end{displaymath}

\begin{eqnarray*}
b_{2} &=&\frac{1}{2\lambda ^{3}V}\left[ \bullet \mbox{---}\bul...
... ^{3}}\int \left( e^{-u_{12}/kT}-1\right) d^{3}%
\mathbf{r}_{12}
\end{eqnarray*}

($f_{12}$ unterscheidet sich von Null nur in einem kleinem Bereich; Übergang zu der Relativkoordinaten und Koordinaten des Massenschwerpunktes).

\begin{eqnarray*}
b_{3} &=&\frac{1}{6\lambda ^{6}V}\int d^{3}\mathbf{r}_{1}d^{3}...
...int d^{3}\mathbf{r}_{12}d^{3}%
\mathbf{r}_{23}f_{12}f_{13}f_{23}
\end{eqnarray*}

(der Übergang von der ersten zur zweiten Zeile entspricht der Einführung der Relativkoordinaten). Die zwei Summanden in der dritten Zeile entsprechen den sog. irreduziblen Beiträgen.

Das Konfigurationsintegral $Q$ für ein $N
$-Teilchensystem besteht aus verschiedenen Kombinationen von Clusterintegralen. Nehmen wir an, das Integral $I$ aus $m_{1}$ 1-Cluster, $m_{2}$ 2-Cluster, $m_{3}$ 3-Cluster, u.s.w besteht, so dass $\sum_{l=1}^{N}lm_{l}=N$. Sei $\{m_{l}\}$ eine solche Zerlegung. Anzahl der Realisierungen einer solchen Zerlegung ist

\begin{displaymath}
\frac{N!}{\prod_{l=1}^{N}(l!)^{m_{l}}m_{l}!}.
\end{displaymath}

(um das zu sehen, teilen wir zuerst das System in $m_{1},m_{2}...$ ''Boxen'' auf. Insgesamt gibt es $N!$ Plazierungen unterscheidbarer Moleküle. Innerhalb einer Box gibt es $l!$ Permutationen, für alle $m_{l}$ $l$-Boxen also $%
(l!)^{m_{l}}$; die Boxen gleicher Größe sind nicht unterscheidbar, daher gibt es noch $m_{l}!$ Permutationen). Der Gesamtausdruck für $Q$ ist also

\begin{eqnarray*}
Q(N,V,T) &=&\lambda ^{3N}\sum_{m_{l}}\frac{N!}{%
\prod_{l=1}^{...
...od_{l}\frac{\left( Vb_{l}/\lambda
^{3}\right) ^{m_{l}}}{m_{l}!}.
\end{eqnarray*}

Die gesamte Zustandssumme ist

\begin{displaymath}
Z(N,V,T)=\sum_{m_{l}}\prod_{l}\frac{\left( Vb_{l}/\lambda ^{3}\right)
^{m_{l}}}{m_{l}!}
\end{displaymath}

mit der Nebenbedingung $\sum_{l=1}^{N}lm_{l}=N$. Die Nebenbedingung ist sehr störend, kann aber durch einen Übergang zu einem großkanonischen Ensemble vermieden werden. Die großkanonische Zustandssumme

\begin{displaymath}
Z=Z(\mu ,V,T)=\sum_{N=0}^{\infty }\sigma ^{N}Z(N,V,T)
\end{displaymath}

mit $\sigma =e^{\mu /kT}.$ Mit $\sigma ^{N}=\sigma ^{\sum_{l=1}^{N}lm_{l}}$ folgt:

\begin{eqnarray*}
Z &=&\sum_{N=0}^{\infty }\sum_{\left\{ m_{l}\right\} }\left[ \...
... V\sigma ^{l}b_{l}/\lambda ^{3}\right) ^{m_{l}}}{m_{l}!}\right]
\end{eqnarray*}

Die Summation in der 1. Zeile ist eingeschränkt durch die Nebenbedingung
$\sum_{l=1}^{N}lm_{l}=N$, die Summation in der 2. Zeile ist hingegen frei! Der letzte Ausdruck kann weiter umgeformt werden:

\begin{eqnarray*}
Z &=&\sum_{m_{1},m_{2},...=0}^{\infty }\left[ \prod_{l=1}^{\in...
...m_{l=1}^{\infty }\frac{V\sigma ^{l}b_{l}}{\lambda
^{3}}\right] .
\end{eqnarray*}

Damit ist (da $pV=-\Omega =kT\ln Z$):
\begin{displaymath}
\frac{p}{kT}=\frac{1}{\lambda ^{3}}\sum_{l=1}^{\infty }b_{l}\sigma ^{l}.
\end{displaymath} (12)

Für die mittlere Teilchenzahl $\left\langle N\right\rangle $ gilt:

\begin{displaymath}
\left\langle N\right\rangle =kT\frac{\partial \ln Z}{\partial \mu }=\sigma
\frac{\partial \ln Z}{\partial \sigma }
\end{displaymath}

Somit
\begin{displaymath}
\frac{N}{V}=\frac{\sigma }{V}\frac{\partial \ln Z}{\partial ...
...}=\frac{1}{\lambda ^{3}}\sum_{l=1}^{\infty }lb_{l}\sigma ^{l}
\end{displaymath} (13)

Die Zustandsgleichung ergibt sich durch das Eliminieren der Fugazität $%
\sigma $ aus Gl.(12) und (13). Daraus folgt die Virialenwicklung

\begin{displaymath}
\frac{pV}{NkT}=\sum_{l=1}^{\infty }a_{l}\lambda ^{3(l-1)}\left( \frac{N}{V}%
\right) ^{l-1}.
\end{displaymath}

Die Koeffizienten der Entwicklung nach Potenzen von $c=N/V$ sind die Virialkoeffizienten $B_{l}=a_{l}\lambda ^{3(l-1)}$ (die Virialkoeffizienten $%
B_{l}$ haben die Dimension der Potenzen des Volumens).

Die Koeffizienten $a_{l}$ können durch $b_{l}$ ausgedruckt werden:


$\displaystyle a_{1}$ $\textstyle =$ $\displaystyle b_{1}=1$ (14)
$\displaystyle a_{2}$ $\textstyle =$ $\displaystyle -b_{2}=-\frac{2\pi }{\lambda ^{3}}\int_{0}^{\infty }\left[
e^{-u(r)/kT}-1\right] r^{2}dr$  
$\displaystyle a_{3}$ $\textstyle =$ $\displaystyle 4b_{2}^{2}-3b_{3}$  
    $\displaystyle u.s.w.$  

so dass der 2. Virialkoeffizient ist
\begin{displaymath}
B_{2}=2\pi \int_{0}^{\infty }\left[ 1-e^{-u(r)/kT}\right] r^{2}dr.
\end{displaymath} (15)

Für ein Gas harter Kugeln vom Radius $a$ gilt

\begin{displaymath}
B_{2}=\frac{2\pi }{3}a^{3}
\end{displaymath}

und

\begin{displaymath}
B_{3}=\frac{5}{18}\pi ^{2}a^{6}.
\end{displaymath}

Bemerkung: Die Gl.(14) kann auf folgendem Wege hergeleitet werden: Führen wir ein

\begin{displaymath}
x=\frac{\lambda ^{3}N}{V}=\sum_{l}lb_{l}\sigma ^{l}.
\end{displaymath}

Betrachten wir dann die Reihenentwicklung von $\sigma $ nach Potenzen von $x$: $\sigma =c_{1}x+c_{2}x^{2}+...$ . Aus Gl.(13) dann folgt:

\begin{displaymath}
1=x^{-1}\left[
b_{1}(c_{1}x+c_{2}x^{2}+...)+b_{21}(c_{1}x+c_{2}x^{2}+...)^{2}+...\right]
\end{displaymath}

Durch Vergleich der Koeffizienten erhalten wir: $c_{1}=1/b_{1}=1$, $%
c_{2}=-2b_{2}$, $c_{3}=8b_{2}^{2}-3b_{2}$. Die Koeffizienten $a_{i}$ der Entwicklung von

\begin{displaymath}
pV/NkT=\sum b_{l}\sigma ^{l}/\sum lb_{l}\sigma ^{l}
\end{displaymath}

sind dann durch Gl.(14) gegeben.


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Prof. Igor Sokolov 2004-07-01