Das Doppelschattenexperiment

Am Anfang der Stunde kann ein kleiner  Test zu den Inhalten der letzten Stunden stehen.
Die folgende Unterrichtssituation stellt beispielhaft den Übergang vom Themengebiet "Schatten" zur "Spiegelwelt" dar. Wenn ein Unterrichtsabschnitt zur Reflexion bzw. zum Spiegel von einem Phänomen ausgehend begonnen werden soll, können leicht Schwierigkeiten dadurch entstehen, dass die Schüler nicht einsehen, warum sie sich mit dem Phänomen gründlich auseinandersetzen sollen. Jedes Kind hat schließlich schon unzählige Male einen Spiegel gesehen und glaubt genau zu wissen, wo sich die Spiegelbilder befinden, welche Eigenschaften sie haben usw. Zu trivial erscheint das Untersuchungsobjekt, um sich auf eine ernsthafte Beobachtung einzulassen, viel zu klar die eigene (Fehl-)vorstellung, um sie wirklich in Frage zu stellen. Wir möchten die Schüler, indem wir den Spiegel verfremden, zunächst verunsichern, dann aber zu genauen Beobachtungen provozieren.
Um den neuen Komplex "Spiegelwelt" zu motivieren, wird das Doppelschattenexperiment gewält: Ein großer Spiegel wird auf einen mit schwarzem Tuch ausgelegten Tisch plaziert und in einem geeigneten Winkel mit einer Lampe beleuchtet. Der Spiegel selbst wird von einer gleich großen Pappe verdeckt, in der ein Loch ausgeschnitten ist. Vor der Stunde wird dieses Loch mit einer passenden runden Pappe verdeckt.

Aufbau des Doppelschattenexperiments

Der Raum wird abermals verdunkelt und die kreisförmige Pappe bei Beleuchtung mit der Lampe langsam von runden Spiegelöffnung weggeschoben (es sollte darauf geachtet werden, dass der Spiegel gut geputzt ist!). Dabei erscheint ein dunkles Loch, das erst auf den zweiten Blick von den Schülern als Spiegel identifiziert wird. Kurz darauf fällt auch ein heller Schein an der Raumdecke auf, der die Form der Öffnung aufweist. Nun wird langsam eine Hand über den Spiegel gehalten. Überraschenderweise ergibt sich an der Decke ein Schattenbild mit zwei Händen! Hält man beide Hände über den Spiegel, werden es sogar vier!

Doppelschatten

Diesem Phänomen wird mit dem  Prinzip Ameise auf den Grund gegangen: Einige Schüler stellen sich auf einen Stuhl, sehen in den Spiegel unter sich und erkennen zwei Hände: einerseits die wirkliche Hand über dem Spiegel, andererseits eine Hand im Spiegel. Beide verdecken eine ebenfalls im Spiegel befindliche Lampe:

Erklärung des Doppelschattens Erklärung des Doppelschattens Erklärung des Doppelschattens

Schatten in der Spiegelwelt

Die Schüler erhalten wieder die Möglichkeit zum Experimentieren. Teelichter und Spiegelkacheln werden ausgegeben und die Klasse in zwei Gruppen aufgeteilt. Die erste Gruppe wird mit der Aufgabe betraut, mit Hilfe eines  Arbeitsblatt herauszufinden, wie man die Spiegelkachel aufstellen muss, damit das Spiegelbild der einen Kerze mit der anderen wirklichen Kerze zur Deckung kommt.
Die andere Gruppe wird mit einem  Arbeitsblatt angewiesen herauszufinden, welche Eigenschaft Schatten haben, die scheinbar von dem Spiegelbild einer Kerze verursacht werden. Dabei wird eine Arbeitstechnik angewendet, die in unserer späteren Optik noch größere Bedeutung bekommen wird: die Rekonstruktion des Verlaufs von Lichtwegen durch das Nachziehen von Schattengrenzen. Diese Darstellung von Lichtwegen tritt in unserem Unterricht an die Stelle des Zeichnens von Lichtstrahlen.

Beide Arbeitsblätter werden anhand von OH-Folien besprochen. Ein neuer wichtiger Begriff wird eingeführt: die  Spiegelwelt. Aus beiden Aufgaben ergeben sich das 1. Spiegelgesetz: Dinge in der Spiegelwelt stehen ihren wirklichen Partnern genau gegenüber und beide haben den selben Abstand zum Spiegel.

Schattensammeln Schattensammeln

Konsequenzen lassen sich aus einem Demoexperiment ziehen. Ein großer Spiegel wird vertikal aufgebaut (siehe Abbildungen). Eine angezündete Kerze und sowie ein Schattengeber davor gestellt, der Raum verdunkelt und die Schüler aufgefordert, die Anzahl der Schatten zu bestimmen. Nach längerer Diskussion wird sich auf die Anzahl acht verständigt werden. Doch: Warum entsteht ein Schatten des wirklichen Zylinders auf dieser Seite des Spiegels? Warum gibt es einen dunklen rechteckigen Schatten, der deutlich dunkler ist, als alle anderen? Und überhaupt: Warum fällt der durch die gespiegelte Kerze erzeugte Schatten des gespiegelten Zylinders auf unsere Seite des Spiegels?
Die Schüler werden nach anfänglicher Skepsis das Gefühl bekommen, dass die Spiegelwelt scheinbar doch irgendwie existiert. Selbst wenn man die Kerze vom Spiegel entfernt und die Spiegelkerze von dem jeweiligen Beobachtungsort nicht mehr sehen kann, sind dennoch Schatten da, die nur von einer Kerze jenseits des Spiegels verursacht werden können. Der Spiegel zeigt nicht nur ein Abbild der wirklichen Welt vor ihm. Er ist ein Fenster, durch das wir in die Spiegelwelt hineinblicken können. Da man in die Spiegelwelt nicht direkt hineingreifen kann, ist sie eine "Sehwelt", während unsere wahre Welt eine "Tastwelt" ist.
Das Geheimnis um den rechteckigen Schatten wird gelöst: Eine Ameise, die sich in diesem Fleck befindet, kann keine der beiden Teelichter sehen.
Eine  Hausaufgabe soll die Erkenntnisse festigen.

Spiegelgesetze

Man kann das 1. Spiegelgesetz mit einem Lineal tatsächlich "beweisen":

Messen eines Abstandes in der Spiegelwelt

Zur Herleitung des 2. Spiegelgesetze wird ein Gedankenexperiment durchgeführt: Anna und Bert stehen auf den beiden verschiedenen Seiten der gleichen Mauer, Conny an der Stirnseite der Mauer mit freier Sicht auf die beiden anderen und einem Spiegel in der Hand. Wie groß muss der Spiegel sein und wie muss ihn Conny halten, damit sich Anna und Bert sehen können (Zeichnung in Draufsicht)?

Das zweite Spiegelgesetz

Drei Schüler spielen diese Situation nach. Intuitiv wird die Klasse mit ihren Vorschlägen bereits richtig liegen, doch eine Erklärung unter Zuhilfenahme des 1. Spiegelgesetzes soll voraussagen, wie genau die Sichtlinien bzw. Lichtwege auszusehen haben. Eine Zeichnung an der Tafel verdeutlicht den genauen Zusammenhang zum 1. Spiegelgesetz.
Zuerst werden die Spiegelwelt-Pendants von Anna und Bert eingezeichnet (1. Spiegelgesetz). Dann folgten die direkten Sichtlinien von Anna zum Spiegelwelt-Bert Bert' (rot) und von Bert zur Spiegelwelt-Anna Anna' (blau). Den Schülern wird sofort auffallen, dass sich die Lichtwege auf dem Spiegel schneiden. Damit beide sich im Spiegel sehen können, braucht der Spiegel nur die Größe einer Spiegelkachel zu haben! Im Klassenraum kann das einfach nachgespielt werden. Man wählt eine Versuchsperson aus der ersten und der letzten Reihe aus der Klasse aus und versucht, eine am Lehrertisch befindliche Spiegelkachel so zu halten, dass sich beide Schüler darin sehen können. Das allgemein bekannte Reflexionsgesetz (Einfallswinkel=Reflexionswinkel) folgt aus diesen Überlegungen unmittelbar.

Das zweite Spiegelgesetz

Anwendungen der Spiegelgesetze

Zwei Anwendungen der Spiegelgesetze werden Gegenstand dieser Einheit sein (wobei viele weitere denkbar sind). Die Klasse wird gefragt, wie groß ein Garderobenspiegel mindestens sein muss, damit man sich vollständig darin sehen kann. Ein Griff zum 1. Spiegelgesetz, und die Schüler finden heraus, dass der Spiegel genau halb so groß sein muss, wie man selber, ganz egal, in welchem Abstand man zum Spiegel steht:

Garderobenspiegel

Für das zweite Beispiel wird ein 90°-Winkelspiegel aufgebaut. Er hat die Besonderheit, dass man sich einerseits immer in der Schnittlinie beider Spiegel sieht und andererseits die Seiten auf eine nicht erwartete Weise vertauscht werden (siehe Foto, auf dem der Pfeil in der Spiegelwelt nicht in die erwartete Richtung zeigt). Die folgende Zeichnung wird gemeinsam entwickelt und als Erklärung akzeptiert.

Winkelspiegel Erklärung des Winkelspiegel

Erweitert man diesen Aufbau um einen Spiegel, der unter den Winkelspiegel gestellt wird, erhält man den Nachbau eines "Katzenauges". Dieser Spiegelaufbau hat die Besonderheit, dass man sich immer im Schnittpunkt der drei Spiegelflächen sieht (im Falle eines Fotos ist immer die Kamera im Mittelpunkt). Licht, das in einen solchen Spiegel hineinscheint, wird in die Richtung, aus der es kommt, zurückgeworfen:

Katzenauge

Mit Winkelspiegeln (zwei Spiegelkacheln, die mit einem Klebeband miteinander verbunden sind) kann man nette Spielereien anstellen. So lassen sich bei geeigneten Winkelstellungen feine Vielecke durch einfaches Unterlegen einer geraden Linie herstellen:

Winkelspiegel Dreieck Winkelspiegel Viereck
Winkelspiegel Fünfeck Winkelspiegel Sechseck
Winkelspiegel Kreis

Der Schritt zur parallel zueinander stehenden Spiegel ist nur klein, und man erhählt einen Blick in die "Unendlichkeit":

Blick in die Unendlichkeit

Das Doppelschattenexperiment wartet noch auf seine vollständige Lösung, die mit einem  Arbeitsblatt nachgeholt wird.

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