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ARTE Gastautor Johann Grolle, Physiker und Leiter Wissenschaftsressort des Magazins „Der Spiegel“, für das ARTE Magazin. „String“ oder „Loop“? Vibrierende Fäden oder ein Gerüst aus Linien und Knoten? Junge Physiker am Potsdamer Max-Planck-Institut suchen nach der Formel, die die Welt im Innersten zusammenhält. „Aber was“, fragt sich Thomas Thiemann, „war ganz am Anfang?“, und greift zum schwarzen Filzstift. „Nehmen wir mal an, dies sei das Universum kurz nach dem Urknall“, sagt er und malt eine waagerechte Linie auf die Tafel in seinem Büro. „Was war dann hier?“ Er deutet auf die weiße Fläche unter dem Strich und hat auch gleich eine Antwort parat: „Vielleicht waren ja Raum und Zeit zu einem Schaum verquirlt, in dem die Gesetze der Kausalität nicht mehr galten.“ Der Physiker krakelt ein paar Kringel unter die schwarze Linie – fertig ist die Skizze des Weltenbeginns. Während Thiemann so über den Anfang allen Seins räsonniert, ist auch bei einer Gruppe Kollegen gerade der Urknall Thema. „Wir suchen händeringend nach Experimenten, die uns etwas über das Innerste der Materie verraten“, sagt Jan Plefka und schlürft etwas Kaffee aus seinem Plastikbecher. „Vielleicht ist das einzige Experiment, das uns am Ende wirklich weiter bringt, der Urknall selbst.“ Thiemann und Plefka zählen zu den wenigen Menschen, die bei Kaffee oder Bier so selbstverständlich über Raumkrümmung und Quantenschaum plaudern wie andere über das Urlaubswetter oder die Bundesliga. Getrieben von Faustscher Neugier dringen sie immer tiefer in die Materie ein und gebären auf dem Weg dorthin immer abstraktere Ideen. Es ist ein uralter Physiker-Traum, der Plefka, Thiemann und ihre rund 100 Mitstreiter am Potsdamer Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik beseelt: Gemeinsam haben sie sich auf die Suche gemacht nach einem alle Phänomene der Natur in sich vereinenden Urgesetz. Alle bekannten Kräfte der Physik wollen sie zu einer einzigen Gleichung verschmelzen. Kurz: Sie sind der Weltformel auf der Spur. So sehr Plefka und Thiemann das gemeinsame Ziel einer allumfassenden Urtheorie verbindet, so unterschiedlich sind die Pfade, die sie auf dem Weg dorthin beschreiten. Das Potsdamer Institut ist das einzige der Welt, in dem Forscher Tür an Tür an den beiden derzeit konkurrierenden Ideen einer Weltformel basteln: Plefka ist fest eingebunden in die Clique der Stringforscher, die alles Dasein auf das Vibrieren unvorstellbar winziger Fäden zurückzuführen versuchen. Thiemann gehört zur Gemeinde der Loop-Theoretiker; sie glauben, die Antwort des Rätsels bestehe darin, die Atome aufzuspüren, aus denen Raum und Zeit bestehen. Bizarr und kaum verständlich sind beide dieser Weltentwürfe. Vor allem aber ist noch völlig unklar, ob sie irgendetwas mit der Wirklichkeit zu tun haben. Seit nunmehr zehn Jahren schon tüfteln beide, Thiemann und Plefka, an ihren Ideen – und doch wissen sie, dass bestenfalls einer der beiden Wege am Ende zum Ziel führen wird. „Einer von uns“, sagt Thiemann trocken, „befindet sich in einer Sackgasse.“ Was aber verführt junge Talente, ihre ganze Karriere einer Idee zu opfern, von der niemand weiß, ob sie irgendeine reale Bedeutung hat? Woher rührt der scheinbar unbeirrbare Glaube, dass es eine Weltformel überhaupt gibt? Thiemann hat dafür eine Erklärung, die er „ganz einfach“ nennt: „weil Relativitätstheorie und Quantenmechanik einander widersprechen“. Ganz einfach klingt das für den Laien nun wirklich nicht. Und doch spricht Thiemann einen Grundkonflikt an, der theoretische Physiker auf der ganzen Welt zu immer neuen gedanklichen Abenteuern anspornt: Sie suchen nach einem Weg, die beiden großen Gedankengebäude, auf denen die moderne Physik errichtet ist, miteinander zu versöhnen. Zum einen gibt es da die Allgemeine Relativitätstheorie, die einst Albert Einstein ersann. Sie beschreibt das Phänomen der Schwerkraft, indem sie Raum, Zeit und Materie untrennbar zu einem Ganzen verschweißt. So entstand ein Formelwerk des Makrokosmos, das die Welt der Planeten, Sterne und Galaxien beherrscht. Auf der anderen Seite steht die Quantenmechanik, die sich mit den Eigenheiten des Mikrokosmos befasst. Sie gibt an, wie sich Atome, Elektronen und Quarks bewegen und wie sie aufeinander einwirken. Beide, Relativitätstheorie und Quantenmechanik, gehören zu den großen Triumphen der Physik. Beide, so beteuern die Forscher, seien von betörender Schönheit. „Nur ein Problem gibt es“, bestätigt auch Plefka: „Sie passen nicht zusammen.“ Sobald die Physiker versuchen, die Schwerkraft den Gesetzen der Quantenmechanik zu unterwerfen, geschieht in ihren Gleichungen eine Katastrophe: Plötzlich scheinen Raum und Zeit seltsame Blasen zu schlagen, die Formeln spucken nur noch Absurditäten und sinnlose unendliche Größen aus. Heerscharen von Physikern haben sich bereits den Kopf darüber zerbrochen, wie sie die beiden widerspenstigen Gleichungen bändigen könnten. Denn wem das gelingt, der erringt den höchsten Preis, den die Physik zu vergeben hat: die Weltformel, die gleichermaßen Makro- wie Mikrokosmos beschreibt. Wird einer der beiden Theoretiker-Clubs das Rennen machen? Die quirligen, verspielten Stringphysiker oder die strengen, rigorosen Loop-Theoretiker? Forscher wie Plefka können sich stets aufs Neue an der schier unerschöpflichen Fülle ihrer Stringtheorien berauschen. Längst geben sie sich nicht mehr mit dem einfachen dreidimensionalen Raum zufrieden. Lieber lässt Plefka seine Strings in neun räumlichen Dimensionen vibrieren, von denen allerdings sechs unsichtbar winzig verknäuelt seien. Wer sich einmal dieser Idee verschrieben hat, der kommt nicht mehr von ihr los. Denn kaum beginnen die Strings zu schwingen, erzeugen sie Welten voller neuer, überraschender Eigenschaften. „Unser größtes Problem“, gesteht Plefka, „besteht darin, dass wir mit unseren Theorien fast jede beliebige Welt erklären könnten.“ Genau an diesem Punkt setzt Thiemann an. Er redet knapp und konzentriert, Abschweifungen mag er nicht. Er sucht nach einem soliden Fundament, um darauf eine Weltformel zu errichten, und will nur gelten lassen, was wirklich mathematisch bewiesen ist. „Die Stringtheorie“, sagt er, „ist nur ein gewaltiges Kartenhaus aus lauter Annahmen und Vermutungen.“ Für seine Strenge zahlt Thiemann einen hohen Preis: Er hat sich in ein dürres Gerüst aus Schleifen, Knoten und Strichen verstrickt. Seine Vermutung: Dieses eigenartige Gestrüpp gibt ziemlich genau die mikroskopische Struktur von Raum und Zeit wieder. Ob das der Wahrheit wirklich näher kommt als die fantastischen Sphärenklänge vibrierender Strings? DIE STRINGTHEORIE: von „string“, engl. für „Saite“; beschreibt die Elementarteilchen als winzige Fäden, die im mehrdimensionalen Universum schwingen. Wichtige Vertreter: u.a. Michael Green, John Schwarz, Edward Witten DIE LOOP-THEORIE: von „loop“, engl. für „Schleife“; beschreibt den Raum als quantenmechanisches „Spin-Netzwerk“ (entdeckt von Roger Penrose in den 1970ern) aus Schleifen, Linien und Knoten LINK: Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik/Albert-Einstein-Institut BUCHTIPP: „Das elegante Universum“, Brian Greene, Siedler Verlag 2000
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